Der Tychonische Sextant in der Sternwarte Kremsmünster

Von Dr. P. Richard Rankl

Erschienen im 89. Jahresbericht des Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster, Schuljahr 1946, 33-47.
(Die alte Rechtschreibung wurde beibehalten)
Die Abbildungen wurden durch neue mit beinahe den selben Bildausschnitten von P. Amand Kraml (Mai 2000) ersetzt.


Zu den ältesten Instrumenten, die in der Sternwarte zu Kremsmünster aufbewahrt werden, gehört ein eiserner Sextant, der sicherlich aus der Zeit von Tycho Brahe stammt und vermutlich von Keppler bei seinen Himmelsbeobachtungen in Prag nach Tychos Tod (+1601) benützt wurde.

Abb.1. Abb.1. Gesamtansicht des Sextanten
Foto: P. Amand Kraml

Beschreibung.

Der Sextant besteht aus zwei Radien, einer eisernen Versteifung, einem messingenen Gradbogen (Limbus), einem verschiebbaren Lineal (Alhidade), mehreren Visieren (Dioptern), einem Trägerstück (Fußstück) und dem Fuß.

Die beiden Radien sind 112 cm lang, 13 mm breit und 7,5 mm stark. Die Versteifung stellt ein Kreuz dar, dessen Fuß aufgespalten ist. Vom Hauptarm (Vierkanteisen, unten 27 x 16, oben 14 x 14 mm) gehen die beiden Teile fast senkrecht zu den Radien (Abstand 23, beziehungsweise 24 cm); der Querbalken des Kreuzes besteht aus zwei Teilen eines Vierkanteisens (15 x 4 mm), die am Hauptarm angenietet und an den Enden zierlich abgerundet und wie die Teile des gespaltenen Unterteils an den Radien angeschraubt sind.

Der Gradbogen (Limbus) ist aus Messing, innen gezahnt, 34,6 mm breit, 5 mm stark; die 60 Grade sind durch Transversal-Linien in je 6 Teile geteilt, die darübergleitende Alhidade, die 64 mm des Gradbogens überdeckt, hat 10 Querteile; es kann somit eine Meßgenauigkeit von einer Bogenminute erreicht werden. Auffallend ist bei der Bezifferung der ganzen Grade, daß die Einser bei den Graden bis einschließlich 12 römisch geschrieben sind, während sie von 13 an arabische, beistrichartige Form aufweisen.

Abb. 2. Abb. 2. Teilstück des Limbus am Alhidadenende mit Strichdiopter. Der Limbus zeigt die Einteilung und es ist daraus der Unterschied in der Schreibweise der Zehnerziffern ab 13. Grad ersichtlich
Foto: P. Amand Kraml

Die Verbindung des Limbus mit dem Zentrum ist durch ein 29 mm breites, 5,5 mm dickes, innen hohles, eisernes Lineal gegeben. In demselben läuft ein Stahlkettchen über zwei Zahnrädchen. In 19,5 cm Entfernung vom Zentrum ist das Antriebrad eingesetzt, das zur Hälfte über das Lineal seitwärts hinausragt und mit einem scheibenförmigen Messinggriff (Durchmesser 30 mm) bewegt werden kann; durch diese Bewegung wird am limbusseitigen Ende des Lineals ein Zahnrad gedreht, das am gezahnten Limbus (auf 10° entfallen 53 Zähne) dahingleitet und damit die Winkeleinstellung ermöglicht. Im Lineal sind in Abständen von 16 cm sieben Paare von kleinen, 6 mm voneinander abstehenden Löchelchen gebohrt, die vermutlich zur Schmierung des Stahlkettchens bestimmt sind.

Abb. 3. Abb. 3. Limbusseitiges Alhidadenende mit abgenommener Deckplatte des Zahnrad-Ketten-Triebes, durch welches die Alhidade längs des Limbus in jede Winkellage gebracht werden kann.
Foto: P. Amand Kraml

Für die Winkelmessungen sind die beiden Schenkelrichtungen festzustellen; bei Höhenwinkeln kann die Richtung des einen Schenkels - Nullradius, die Horizontale mittels eines Lotes bestimmt werden, das auf eine Marke aus Messing einspielen muß; sonst geschieht dies durch Visieren auf astronomische oder terrestrische Objekte mittels eines messingenen Okular-Diopters, der als Lochvisier auf dem Scheitelpunkt des Sextanten aufgesetzt ist und den Blick auf das Stäbchen eines Objektivvisiers - ebenfalls aus Messing - gestattet.

Abb. 4. Abb. 4. Nahe dem Okular gelegenes Alhidadenstück mit Triebrädchen zur Bewegung der Gliederkette, die in der hohlen Alhidade verläuft und zum Zahngetriebe auf das limbusseitige Alhidadenende führt.
Foto: P. Amand Kraml

Das Lochvisier am Scheitelpunkt ist drehbar und läßt sich auch zum Visieren in der Alhidadenrichtung verwenden, indem man durch dasselbe auf ein ebenfalls messingenes Stäbchenvisier blickt, das als Objektivdiopter auf dem Lineal aufgesetzt ist.

Diese Messingdiopter sind gerade um eine Diopterlänge von der Sextantenebene weggerückt, so daß man den Eindruck hat, als wären sie vielleicht erst später eingesetzt worden, zudem sind einzelne Teile der Visiere mit Messingschrauben befestigt, die sicherlich neueren Datums sind. Außer diesen fest angebrachten Dioptern ist auch noch ein verschiebbares kleines Messingvisier vorhanden, das sowohl auf dem Lineal als auch auf dem Nullradius aufgeschraubt werden kann.

Für ein etwa früher verwendetes Schlitzvisier sind wohl die Rahmen vorhanden - die Objektivdiopterhalter sind auch gerade so breit, daß sie deren Öffnung ausfüllen würden - aber es müßte das Mittelstück so sorgfältig ausgefeilt worden sein, daß keine Spur mehr zu sehen ist.

Zur Aufstellung des Sextanten dient ein 52 cm langes Trägerstück (Fußstück); es hat achteckigen Querschnitt (abgeschrägtes Vierkanteisen 16 x 17 mm), trägt unten eine tellerförmige Erweiterung, womit der Sextant auf dem Fuß aufsitzt und läuft in einen konischen Zapfen aus, der ein 3 cm langes Gewinde trägt (etwa 13 Windungen mit 2,7 mm Ganghöhe), das im unteren Teil durchbohrt ist, Lochdurchmesser 6 mm; oben schließt es mit einem Kreisring ab, durch den eine horizontale Achse geht, mit viereckigen Schrauben befestigt. Durchmesser des Kreisringes 68 mm, Breite 9 mm, Tiefe 17 mm.

Abb. 5. Abb. 5. Kreuzgelenkkopf. Durch dieses Gelenk kann die Sextantenebene in jede Lage gebracht werden.
Foto: P. Amand Kraml
Von der Achse führt eine Gabel (6 cm breit, 9,5 cm lang) zu einer Messingbüchse (Durchmesser 26 mm, Länge 82 mm), die in 65 cm Entfernung vom Scheitelpunkt, den Längsbalken der Kreuzversteifung umschließt und als Achse dient, um die man die Sextantenebene drehen kann. Da der Sextant auch um das Fußstück selbst als einer vertikalen Achse azimutal drehbar ist, so stellt dieser Sextant eine Art Universalinstrument dar, mit dem Winkelabstände in jeder beliebigen Länge gemessen werden können. Als Fuß diente früher ein einfacher Holzdreifuß, in dessen tischförmigen Abschluß das Trägerstück eingesteckt war. (Siehe Abbildung N der Fiximillner'schen Instrumente in „Geschichte der Sternwarte" von Fellöcker.) Im Jahre 1895 verfertigte der damalige Turnlehrer des Gymnasiums, Josef Dümler, der des Schmiedens kundig war, einen schmiedeeisernen Fuß mit Holzsäule in Anlehnung an den Fuß des kleineren Tychonischen Sextanten der Sternwarte in Prag, der das Original des Sextanten von Kremsmünster darstellt.

Der Prager Sextant

[1]

Die oben vom Sextanten in Kremsmünster gegebene Beschreibung paßt bis auf wenige Einzelheiten genau auch auf den Prager Sextanten. Kennzeichnend ist die Kreuzform der Versteifung, die Beweglichkeit des Alhidadenlineals durch kettenübersetzte Zahnräder, die genau übereinstimmende Größe (3 1/2 Schuh = r = 112 cm), die Meßgenauigkeit einer Bogenminute mit Hilfe einer Transversalenteilung und des in 10 Teile geteilten Alhidadenmaßstabes, die Drehbarkeit mittels einer Messingbüchse und die universelle Verwendbarkeit für Winkelmessungen.

Radien und Versteifung sind etwas schwächer dimensioniert, der Limbus hat zwar einen kleineren Querschnitt (31 x 4 mm) sieht jedoch zufolge einer 8 mm langen Querversteifung etwas massiver aus. Die Bezifferung der einzelnen Grade ist zwar auch arabisch, es sind aber die Einser durchwegs „römisch“ geschrieben, wie dies auch beim größeren Habermelschen Sextanten, wie mir Dr. Seydl mitteilte, der Fall ist.

Für die Bewegung der Alhidade war der Griff gleich über dem treibenden Zahnrad angesetzt (Zahnrad und Griff fehlen), die Kettenübersetzung war, wie aus dem beim Limbusende vorhandenen Zahnrad zu schließen ist, primitiver als die hiesige, die Übersetzung auf das Limbuszahnrad etwas stärker: Prag 9 : 18, Kremsmünster 10 : 15, die Zahl der Zähne des Limbus unwesentlich größer: Prag 57, Kremsmünster 53 pro 10°. Die Rahmen der Okularvisiere sind stärker: Prag 52 x 31 x 5 mm, Kremsmünster 46 x 21 x 3 mm und bestehen aus einem Schlitzvisier.

Als Objektivvisier dient ein kurzes Stäbchen, das aus dem 15 mm breiten, rechteckigen Träger ausgefeilt ist, am Nullradius ist kein Objektivvisier vorhanden, auch ein Lot fehlt.

Das Trägerstück ist stärker (22 x 22 mm), ebenso die Messingbüchse und der Gabelring, außerdem hat es kein Gewinde und keine Lochung. Der Fuß ist ebenfalls eine spätere Beigabe.

Geschichte der beiden Sextanten.

In der Literatur der Sternwarte von Kremsmünster scheint der hiesige Sextant erstmalig in Fellöckers Geschichte der Sternwarte, S. 4, 1864, auf und wird dort auch näher beschrieben.[2].

Aus dieser Notiz ist allerdings nur zu schließen, daß der Sextant sicherlich um 1816 schon hier war und den beiden Besuchern daher der Prager besonders aufgefallen ist. Es erscheint zwar merkwürdig, daß er von Laurenz Doberschitz 1764 in der „Beschreibung der in dem mathematischen Thurme zu Cremsmünster befindlichen Naturalien, Instrumenten, und Seltenheiten" nicht angeführt ist; es ist aber durchaus möglich, daß der Sextant, der ja doch in der damaligen Zeit für Beobachtungen nicht brauchbar war, sich gar nicht im Mathematischen Turm befand und daher von Doberschitz nicht angegeben werden konnte.

Interessant, wenn auch nicht beweisend, ist eine Notiz in den Kammerei-Rechnungen des Stiftes, Sammelband 1698, die besagt: „Nr. 279 ... den 16. 7bris dem Mädl zu Linz wegen eines Sextanten zalt: 20 fl."[3]

Der kleinere Sextant der Prager Sternwarte ist nach der dortigen Tradition ein Instrument, das Tycho dahin mitgebracht hat.

Aus Anlaß der Feier des 300. Todestages von Tycho Brahe (1901) standen die Tychonischen Instrumente damals im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses und gab gerade der in Frage stehende kleinere Sextant Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten und zum Teil leidenschaftlichen Auseinandersetzungen.

Der damalige Direktor der Prager Sternwarte L. Weinek schreibt im Prager Tagblatt von einem kleineren Sextanten, den Tycho nach Prag mitgebracht hat.[4]

In einer eigenen Publikation über die Tychonischen Instrumente gibt er die Größe mit 111 cm an (Radius, gemessen bis zur Limbusmitte), erwähnt die vorhandenen und fehlenden Diopter und bemerkt, daß zumindest ein Teil des Stativs einer späteren Zeit angehört.[5]

Weinek hat seiner Publikation auch Tafelbilder der beiden Tychonischen Sextanten beigegeben. Das Bild des kleineren Prager Sextanten siehe Abb. 6.

Ebenfalls aus dem Anlaß der Tychonischen Säkularfeier gab Prof. F. J. Studnicka eine Festschrift heraus: Prager Tychoniana, in der er wohl den größeren Sextanten als tychonisch gelten läßt, den kleineren zwar erwähnt, aber der Meinung Ausdruck gibt, er sei dem traurigen Schicksale der übrigen Instrumente nicht entgangen.[6]

Dreyer hatte in seinem Lebensbild von Tycho Brahe gar behauptet (1890), daß heutigen Tages weder in Prag noch in Kopenhagen der geringste Überrest von Tychos berühmten Instrumenten zu finden sei. Die Meinung, daß die beiden Sextanten Tycho gehört haben, weist er damit kurz ab, daß sie nicht seine besonderen Visiere gehabt haben[7].

Die Auffassung, daß es in Prag keine Tychoniana mehr gebe, wurde vom Ophthalmologen Prof. Jos. von Hasner in einer zur 300. Wiederkehr des Geburtstages von Kepler veröffentlichten Studie: Tycho Brahe und J. Kepler in Prag (1872) geäußert mit einem Hinweis auf eine Versteigerung von astronomischen Instrumenten, die 1852 unter Direktor Jos. Böhm durchgeführt worden war.[8]

Ähnlich hatte sich der Verfasser des Artikels „Brahe" in Riegers Böhmischer Enzyklopädie: Prof. Adalbert Safarik ausgedrückt, wie Studnicka mitteilt.[9]

Unter ausdrücklichem Hinweis auf Hasners Studie vertritt auch Rud. Wolf in seiner Geschichte der Astronomie, München 1877, eine ähnliche Meinung, indem er S. 280 schreibt: „Auf der Sternwarte in Prag soll gegenwärtig nur noch ein großer eiserner Quadrant vorhanden sein, der mutmaßlich Tycho angehörte, sonst nichts, da leider vor nicht sehr langer Zeit der ganze Inhalt, einer Rumpelkammer des astronomischen Thurmes, die noch Manches enthalten mochte, ohne irgend welche Sichtung unter den Hammer gebracht wurde."

Gegen diese nunmehr von hervorragender, fachmännischer Seite vertretenen Unrichtigkeiten nahm der damalige Direktor der Prager Sternwarte, Prof. Carl Hornstein (wie in der oben erwähnten [Fußnote 5)] Schrift Weineks, S. 517, ausführlich dargestellt, wird) Stellung, indem er in: Astronomische, Magnetische und Meteorologische Beobachtungen an der k. k. Sternwarte zu Prag im Jahre 1880 (Prag 1881), Seite III und IV, auf die folgenden aktenmäßig feststellbaren Tatsachen hinweist:
Laut Inventar von Strnadt (angelegt vor 1799) waren in der Sternwarte zu Prag drei Objekte, die Tychos Namen tragen:
1 Sextans von Tycho Brahe.
1 Octans desselben (ist der kleinere Sextant).
1 Uhr (nach Weinek, S. 8 von P. Klein S. J. 1751), das Weltgebäude nach Tychos Hypothese darstellend.

Direktor Kreil beschreibt die beiden ersten (1846) wie folgt:
Nr. 11. Ein großer Sextant von Tycho Brahe, der im Jahre 1600 von Erasmus Habermel verfertigt wurde.
Nr. 12. Ein kleinerer Sextant von Tycho Brahe, den er mit nach Prag brachte. Beide ihres Alters wegen merkwürdig.

Da die Inventare der von Böhm 1852 zum Verkauf bestimmten Instrumente und der tatsächlich verkauften vorliegen, so konnten 1852 Tychonische Instrumente nicht „verschleudert" worden sein.

Das Inventar von 1856 (angelegt von Direktor Böhm) enthält daher auch die beiden Sextanten wieder:
Nr. 4. Ein großer Sextant von Tycho Brahe, der im Jahre 1600 von Erasmus Habermel verfertigt wurde.
Nr. 5. Ein kleinerer Sextant von Tycho Brahe, den er nach Prag mitbrachte.

Sehen wir ab von der Frage, ob die beiden Sextanten Eigentum Tychos im engsten Sinne des Wortes waren, so ist doch wohl mit Bestimmtheit anzunehmen, daß beide Sextanten der Tychonischen Zeit angehören, daß der größere sicher von Habermel für Kaiser Rudolf II., bzw. seine Sternwarte und die Zwecke der astronomischen Beobachtungen Tychos angefertigt wurde und es ist zumindest auf Grund einer Tradition der Sternwarte in Prag sehr wahrscheinlich, daß der kleinere Sextant von Tycho nach Prag mitgebracht worden war.

Beziehung der beiden Sextanten


Ein Vergleich des Prager Sextanten mit dem Kremsmünsterer legt den Gedanken nahe, daß einer das Abbild des anderen ist. Man könnte zunächst meinen, sie seien Werke eines gemeinsamen Meisters, sieht man aber die Instrumente selber, so erkennt man, daß die Arbeit nicht von derselben Hand stammen kann. Das Original scheint mir der Prager Sextant zu sein, der in seiner Ausführung der einfachere ist; auch der Umstand, daß beim Kremsmünsterer Sextanten die Einser der Limbus-Bezifferung zunächst römische und ab 13 arabische Form aufweisen, bestärkt die Ansicht, daß der Kremsmünsterer der sekundäre ist, ebenso, daß das Stahlkettchen im Lineal, das in Kremsmünster vorhanden ist, sicherlich besser ist, als das entsprechende im Prager, das zwar fehlt, aber doch aus einem noch vorhandenen Zahnrad beurteilt werden kann; auch die Zahnung des Limbus ist beim Kremsmünsterer feiner ausgeführt als beim Prager.

Daß die beiden Sextanten nicht die Tychonischen Transversalpunkte, sondern die Bürgischen Transversallinien aufweisen, läßt uns schließen, daß der Ur-Sextant nicht vor 1584 hergestellt wurde; um diese Zeit erfuhr nämlich der Mechaniker des Landgrafen von Hessen Wilhelm IV., Joost Bürgi, durch den Assistenten Tychos Paul Wittich von Breslau vom Gebrauch der Transversalpunkte an den Tychonischen Instrumenten und brachte daraufhin an den Kasseler Instrumenten eine ähnliche Einteilung an, die an Stelle der Transversalpunkte Transversallinien mit unterteilter Alhidade aufweist. [10]

Über den Verfertiger läßt sich weder für den Prager, noch für den Kremsmünsterer Sextanten etwas Bestimmtes angeben, zumal ja die Transversallinien allgemein in Gebrauch kamen und 1600 auch von Habermel bei dem größeren Prager Sextanten angebracht worden waren, der ja doch zweifellos für Tycho gemacht wurde; jedenfalls scheinen mir weder die Transversallinien, noch auch die anders gearteten Visiere ein Ausschließungsmoment dafür zu sein, daß Tycho den sogenannten kleineren Sextanten doch nach Prag mitgebracht habe, er hatte ja auch Beziehungen zum Landgrafen von Hessen und damit auch zur Bürgischen Werkstätte, wie aus dem von 1586 an laufenden sechsjährigen Briefwechsel (Vgl. Dreyer - Tycho Brahe: Seite 140—142) hervorgeht, so daß er einen derartigen Sextanten dort oder in seiner eigenen Werkstätte auf der Insel Hveen sich hätte herstellen lassen können.

Wie immer auch derartige Fragen beantwortet werden mögen, soviel scheint sicher, daß der nach der Tradition als Tychonisch bezeichnete kleinere Sextant in Prag das Urbild darstellt, dem der Kremsmünsterer Sextant in etwas verfeinerter oder modernisierter Form nachgemacht wurde.

Nun ist uns aus den Werken Keplers bekannt, daß ihm Baron Hoffmann einen Azimuthalquadranten und einen dreieinhalbschuhigen, eisernen Sextanten zur Verfügung gestellt hatte, als ihm die Erben Tychos die Benützung der von Tycho nach Prag mitgebrachten Instrumente untersagten; Hoffmann hatte sie kurz vor Tychos Tod nach dem Vorbild der Tychonischen Instrumente machen lassen. Auch die Meßgenauigkeit auf eine Minute wird von Kepler ausdrücklich erwähnt.[11]

Mit diesen Instrumenten hatte Kepler 1602 den neuen Stern im Schwan beobachtet; er veröffentlichte diese Beobachtungen in der erwähnten Narratio astronomica de stella in Cygno, außerdem beobachtete er auch 1604 wiederholt den Planeten Mars; diese Beobachtungen erwähnt er in seinem berühmten 1609 herausgegebenen Werk: De Motibus Stellae Martis.

Diese Instrumente finden wir auch erwähnt in Repsolds Geschichte der Astronomischen Meßwerkzeuge, in der Hoffmann als Landsmann Keplers bezeichnet wird und von den beiden Instrumenten die Vermutung ausgesprochen wird, es sei nicht unwahrscheinlich, daß sie auf Habermel zurückzuführen sind, obgleich Bau und Ausführung sehr wenig Ähnlichkeit mit den von Tycho selbst geschaffenen Instrumenten erkennen lassen.[12]

Mit Bestimmtheit kann behauptet werden, daß der Prager kleinere Sextant, wie ein Vergleich mit dem größeren ergibt, nicht von Habermel stammt, der Kremsmünsterer könnte der Arbeit nach eher von ihm stammen, freilich hat er seine „Firmentafel" nicht daraufgegeben, was sich wohl damit entschuldigen ließe, daß der Sextant nur nach einem „Tychonischen" nachgemacht war, wenn auch mit eigenen Verbesserungen.

Es wäre interessant, über die Schicksale des Hoffmannschen, beziehungsweise Keplerischen Sextanten etwas mit apodiktischer Sicherheit aussagen zu hören, solange man jedoch für eine derartige Aussage keine Unterlagen hat, muß man sich zufrieden geben mit einem Wahrscheinlichkeitsschluß:

Gegebenheiten nach den obigen Ausführungen:


Der Kremsmünsterer Sextant ist dreieinhalbschuhig wie der Keplers, ist aus Eisen wie der Keplers, hat die gleiche Meßgenauigkeit von einer Minute, ist einem andern nachgemacht, der als „Tychonisch" gilt und heute noch in Prag zu sehen ist und unzweifelhaft als Urbild des Kremsmünsterers anzusprechen ist. Wie er nach Kremsmünster kam, erklärt sich leicht:

1610 war durch Lipperhey-Galilei-Kepler das Fernrohr konstruiert worden. Als Kepler 1612 Prag verließ, hatte sich Baron Hoffmann, wenn er damals noch gelebt hat, sicherlich mehr für ein neues Fernrohr als für seinen alten Sextanten interessiert. Von Kepler ist jedoch anzunehmen, daß er sich gerade für den Sextanten, der sich sowohl für astronomische als auch terrestrische Winkelmessungen so universell verwenden ließ, so interessierte, daß er ihn mit nach Linz nahm. Vor und nach der Herausgabe der Rudolfinischen Tafel 1627 war nun Kepler viel auf Reisen, den Sextanten hatte er sicherlich lange schon nicht in Gebrauch gehabt und als er 1628 Linz verließ, hat er das unbequeme Stück wohl kaum mehr mitgenommen, vielleicht hat er einen Verehrer desselben gefunden oder nur einen Verwahrer, der nach Keplers Tod 1630 froh war, daß er das alte Eisen wieder anbrachte - daß so der Sextant irgendwie auch in die Hände des „Pixenschifters“ Madl oder eines seiner Vorgänger gelangt sein kann, ist ganz natürlich und ebenso, daß dieser 1698 froh war, das „alte Eisen" um 20 fl. an die Kremsmünsterer Benediktiner zu verkaufen, die sich gerade um die damalige Zeit sehr für mathematische und astronomische Instrumente interessiert hatten.


Wahrscheinlichkeitsschluß:

Es läßt sich somit mit großer Wahrscheinlichkeit der Schluß ziehen, daß der sogenannte Tychonische Sextant der Sternwarte zu Kremsmünster identisch ist mit jenem, den der große Kepler zu seinen berühmten Marsbeobachtungen in Prag verwendet hat und somit besser als Keplers Sextant zu bezeichnen wäre.






[1]
Kürzlich besuchte ich die Sternwarte in Prag und hatte Gelegenheit, diesen Sextanten einer genauen Untersuchung zu unterziehen, unter gütiger Führung des Leiters der Sternwarte Dr. Otto Seydl, dem ich an dieser Stelle den verbindlichsten Dank ausspreche.

[2]
P. Sigmund Fellöcker: Geschichte der Sternwarte der Benedictiner-Abtei Kremsmünster. Programme des Ob.-Gymn. Kremsmünster. Jahrgänge 1864—1869; 1864 S. 4: Auch ein astronomisches Instrument bewahrt die Sternwarte noch beiläufig aus derselben Zeit (Anfang des 17. Jahrhunderts) einen dreieinhalbschuhigen Sextanten nämlich, ohne Fernrohr, das erst anfangs des 17. Jahrhunderts entdeckt wurde, bloß mit einer Dioptra versehen, ganz von Eisen, nur der Limbus von Messing, beweglich um drei verschiedene Achsen eine vertikale, eine horizontale und eine auf letztere senkrechte gegen den Horizont aber geneigte Achse, so daß die Ebene des Sextanten in jede beliebige Lage gebracht werden kann, ganz ähnlich demjenigen, mit welchem Tycho de Brahe am Ende des 16. Jahrhunderts in Prag beobachtete und der wenigstens im Jahre 1816 noch unserm Astronomen P. Thaddaeus Derflinger und Mechaniker Simon Lettenmair auf der Prager Sternwarte gezeigt wurde.

[3]
Leider ist diese Notiz nur auf einem Sammelbeleg vermerkt, der über den Gegenstand selber nicht ausführlicher handelt.

[4]
Sonderabdruck aus dem Prager Tagblatt vom 23. Oktober 1901, Nr. 292, S. 4: „Die Prager k. k. Sternwarte (Clementinum) bewahrt zur Zeit nur zwei Sextanten von Tycho Brahe, einen kleineren, den er von Hven mitgebracht, und einen größeren, welcher 1600 von Erasmus Habermel in Prag angefertigt wurde.

[5]
L. Weinek: Die Tychonischen Instrumente auf der Prager Sternwarte. Prag, Verlag der Sternwarte 1901, S. 9 u. 10: „Eine am 22. November 1900 von mir vorgenommene Ausmessung an beiden Tychonischen Sextanten ergab für den Radius des größeren Sextanten (bis zur Mitte der Breite des Theilungsbogens gerechnet) 1 Meter 29 1/2 Centimeter, für den kleineren 1 Meter 11 Centimeter... Beim kleineren Sextanten sind beide Diopter im Kreiszentrum (ein festes und ein mit der Alhidade bewegliches), sog. Rimulae, vorhanden, während von beiden Visieren am Kreisbogen das feste in der Nähe des Nullpunktes der Theilung fehlt.... Bezüglich des kleineren Sextanten führen zwei Inventare ausdrücklich an, daß derselbe von Tycho Brahe nach Prag mitgebracht wurde. Daß er gleichfalls von Erasmus Habermel im Jahre 1600 gebaut wäre, ist nicht anzunehmen, da sonst auf ihm eine, zur erwähnten analoge Eingravierung zu finden sein würde, was nicht der Fall ist, da ferner auch die Verstärkungsconstruction in der Form des Kreuzes verschieden von derjenigen des größeren Sextanten erscheint. Näheres über diesen kleineren Tychonischen Sextanten, namentlich auch darüber, ob nicht mindestens ein Theil des Statives einer späteren Zeit angehört, konnte leider aus den Sternwartenakten nicht eruiert werden."

[6]
Prof. Dr. F. J. Studnicka, k. k. Hofrath: Prager Tychoniana, Verlag der kön. Böhm. Gesellschaft der Wissenschaften, Prag 1901, S. 60: Vor allem waren es zwei Sextanten, ein größerer für den Hofastronomen Brahe, und ein kleinerer für den kaiserlichen Adepten selbst, welche er hier zur Ausführung brachte, und von denen nur der erste dem traurigen Schicksale der übrigen Instrumente gleicher Bestimmung entging, so daß er nun ein sehenswertes Tychonianum der Prager Sternwarte bildet.

[7]
Tycho Brahe von Dr. J. L. E. Dreyer — deutsch von M. Bruhns, Karlsruhe 1894, S. 386, [Fußnote 3)|: In der Prager Sternwarte .... befinden sich zwei Sextanten.... von denen man meint, daß sie Tycho Brahe gehört haben, doch deuten sie in nichts auf Tychos feine Arbeit, und die beiden Sextanten (von dem größeren heißt es, daß Erasmus Habermel ihn im Jahre 1600 für Tycho machte), haben nicht seine besonderen Visire. Es ist nicht erwiesen, daß sie jemals Tycho gehört haben.

[8]
J. Hasner: Tycho Brahe und J. Kepler in Prag. Prag 1872 Calve Buchh., S. 10 u. 11: Seit Keplers Entfernung von Prag ruhten die Instrumente vollständig. Später kamen sie in die Hände der Jesuiten an der Ferdinandeischen Universität, füllten dann eine Rumpelkammer des astronomischen Thurmes der Universität, und was davon im Laufe der Zeit übrig geblieben war, gelangte in unseren Tagen - unseligen Andenkens - unter den Auctionshammer. Heute sind sie in aller Welt zerstreut.

[9]
Prof. Weinek contra Prof. Hasner. Nichtfachmännische Causerie über die im Jahre 1852 verkauften Tychoniana der Prager Sternwarte von Dr. F. J. STD. Prag 1901, Selbstverlag. S. 6: Zu bemerken ist.., daß er (Safarik) im Jahre 1859 für Riegers böhmische Encyklopädie den Artikel „Brahe" schreibend, beizufügen nicht unterließ, daß ein kleiner Theil der Instrumente Tychos auf unbekannten Wegen in die Prager Sternwarte gelangte, wo sie in unseren Tagen verschleudert wurden!

[10]
Dr. J. L. E. Dreyer: Tycho Brahe, deutsch von M. Bruhns, Karlsruhe 1894. S. 126: Einige Jahre später kam die Nachricht, Wittich sei 1584 in Cassel aufgetaucht und habe hier durch seine Beschreibung von Tychos Verbesserung der Instrumente, besonders der Visire und Transversaltheilungen, ebenso wie der Sextanten zu Winkelmessungen solches Erstaunen erregt, daß der Landgraf sogleich seinen Mechaniker, Joost Bürgi, beauftragt habe, seine Instrumente entsprechend zu ändern. S. 348: In jedem Fall war es Tycho, der den Gebrauch der Transversalen bei getheilten Bögen der astronomischen Instrumente einführte. Er benutzte nicht Transversallinien, wie sie später allgemein in Gebrauch kamen, sondern Reihen von Punkten, welche vollkommen dem Zweck entsprachen... Als Wittich die Nachricht von diesem Verfahren nach Cassel gebracht hatte, modificierte Bürgi dasselbe ein wenig, indem er Linien statt Punktreihen benutzte, und indem er an der Alhidade eine Scala anbrachte, deren Durchschnitt mit einer Transversale die Zahl der Minuten angab, welche der Angabe der vorangehenden Theillinie zuzufügen war, wogegen an Tychos Instrumenten jeder Punkt, einer Minute entsprach.

[11]
Ch. Frisch — Joannis Kepleri Opera Omnia — Frankofurti A. M. et Erlangae 1859 Vol. II Pars II p. 760: Narratio astronomica de stella in Cygno. Pragae 1606. Illustri et generoso Domino DN. Joanni Friderico Hoffmann... Quartus hic annns est, Illustris et generose Baro, Maecenas inclyte, ex quo primum ad nos Pragam fama Novae stellae in sidere Cygni exortae pervenit. Erat tunc recens nobis dolor ex acerbo funere summi viri Tychonis Brahei, astronomiae instauratoris celebratissimi; quem cum alia multa tum hoc reddebat acerbissimum, quod ab illo tempore preciosissima illa supellex instrumentorum astronomicorum, quae Braheus in Bohemiam intulerat, quodam inextricabili fato claustris et obicibus positis delitescebat in tenebris.
Itaque cum eorum usus esset mihi interclusus, tua tamen liberalitate paulo ante provisum erat meae inopiae. Nimirum praevideras jam ante divino quodam instinctu, quorsum res astronomiae hoc magistro destitutae olim ver gerent: itaque vivo etiaminum Braheo et vix annum in Bohemia versato, partem curarum ultro in tu transtulisti ... denique quadrantem azimuthalem et sextantem, ex ferro hunc, illum ex orichalco, tuis sumtibus ad imaginem Braheanorum conformatos nonnullo sumto comparasti: quae instrumenta Braheo mortuo, paulo prius, quam de stella audissemus, meis usibus abs G. Tua permissa possidebam.
Quae itaque in hac stella hisce tuis instrumentis observaveram quaeque de ca dicenda essent astronomo, illo anno perscripta et paucis aliquibus communicata cogitabam edere Tuoque nomini dedicare;... Vol. III p. 221 De Motibus Stellar Martis: Duo milii sumt instrumenta, quibus utor ex libera-litate G. D. Joh. Friderici Hoffmanni L. B., sextans ferreus et quadrans azimuthalis orichalcinus; iste duum semis, ille trium semis pedum diametro, in singula scrupula uterque distinctus'...

[12]
Joh. A. Repsold: Zur Geschichte der astronomischen Meßwerkzeuge von Purbach bis Reichenbach 1450 bis 1830, Leipzig, Engelmann 1908, S. 30 oben: Im Mai 1603 schreibt Kepler (über die Tychonischen Instrumente): Instrumenta dormiunt und im Dezember dieses Jahres gar „Instrumenta in horto Caesaris sub dio putrescunt. Utor sextante et quadrante parva ex Hofmanni (eines in Prag lebenden Landsmannes Keplers) liberalitate". Bei den 1619 nach Kaiser Matthias' Tode entstandenen Unruhen sind dann die Instrumente zerstreut und vielleicht zu anderen Zwecken verarbeitet worden.
7. Kepler...
Die beiden Instrumente, die Kepler benutzte, als Tychos Sammlung ihm nach dessen Tode nicht mehr zur Verfügung stand, waren: ein eiserner Sextant von r = 3 1/2 f und ein messingner Azimuthal-Quadrant von r = 2 1/2 f, beide in Minuten geteilt. Da Kepler meint, Hofmann habe sie für ihn in Voraussicht der Verhältnisse machen lassen, so waren es wohl neue Instrumente. Sie werden als nach Tychos Muster gebaut bezeichnet, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie auf den anderweitig von Kepler genannten „kais. geometrischen Instrumentenmacher" Erasmus Habermel zurückzuführen sind, aus dessen Händen noch jetzt ein Sextant auf der Sternwarte in Prag erhalten ist, ebenfalls unter der Bezeichnung „von Tycho", obgleich der Bau und die Ausführung, soweit man nach den Abbildungen schließen darf, sehr wenig Ähnlichkeit mit den von Tycho selbst geschaffenen Instrumenten erkennen lassen.